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Sehen wir nun zu, ob Ihre stark aufgetragenen AnNagen Wider die französische Staatsleitung, die so haltlos erscheinen, vielleicht doch irgendeine Grundlage haben. Sie beschuldigen Ludwig XV. — indem Sie ihn kenntlich machen, ohne ihn zu nennen — er habe nur ungerechte Kriege unternommen. Denken Sie nicht, es genüge, derartige Sachen mit unverschämter Frechheit vorzubringen; sie wollen auch bewiesen sein. Oder Sie werden, so sehr Sie als Philosoph erscheinen möchten, nur für einen großartigen Verleumder gehalten werden. Prüfen wir denn die Akten des Rechtsstreites, suchen wir zu beurteilen, ob die Gründe, die Ludwig XV. zu seinen Kriegen bestimmten, schlecht oder stichhaltig waren.

Der erste Krieg, der in Frage kommt, ist der von 1733. Ludwigs Schwiegervater1 wird zum König von Polen erwählt. Kaiser Karl VI. widersetzt sich, im Bund mit Rußland, dieser Wahl. Da der König von Frankreich dem russischen Reich nicht zu Leibe kann, greift er Karl VI. an, um die Rechte seines zweimal auf denselben Thron erhobenen Schwiegervaters zu unterstützen. Und da er in Polen nicht die Oberhand zu gewinnen vermag, verschafft er dem König Stanislaus zur Entschädigung Lothringen2. Soll man nun einen Schwiegersohn verurteilen, der seinem Schwiegervater beisteht, einen König, der das Wahlrecht einer freien Nation schützt, einen Fürsten, der fremde Mächte hindert, sich das Recht zum Verschenken von Königreichen anzumaßen? Sofern man sich nicht von Erbitterung und unversöhnlichem Haß hinreißen läßt, ist es bis hierher unmöglich, das Verhalten dieses Fürsten zu tadeln.

Der zweite Krieg begann im Jahre 1741. Er wurde um die Erbschaft des Hauses Österreich geführt, dessen letzter männlicher Sproß, Kaiser Karl VI., eben gestorben war. Es ist sicher, daß die berühmte Pragmatische Sanktion, worauf Karl VI. seine Hoffnungen setzte3, weder den Erbrechten der Häuser Bayern und Sachsen noch den Ansprüchen, die das Haus Brandenburg auf einige Herzogtümer Schlesiens erhob, im mindesten Abbruch tun konnte. Zu Beginn dieses Krieges war es höchst wahrscheinlich, daß ein französisches Heer, das damals nach Deutschland entsandt wurde, König Ludwig XV. zum Schiedsrichter über die miteinander streitenden Fürsien machen und sie zwingen würde, sich nach dem Willen Ludwigs gütlich über die Erbschaft zu einigen. Ganz gewiß konnte Frankreich nach der Rolle, die es beim Westfälischen Frieden gespielt hatte, keine schönere und größere als diese neue spielen. Aber Mißgeschick und allerlei Ereignisse trafen zusammen, um diese Pläne zu vereiteln. Muß man nun Ludwig XV. verdammen, weil ein Teil des Krieges unglücklich verlief? Darf ein Philosoph einen Entwurf nach seinem Ausgang beurteilen?

Allein es ist leichter, aufs Geratewohl Beleidigungen auszusprechen als zu prüfen und zu erwägen, was man sagen will. Siehe da! Der Mann, der sich im Anfang seines Werkes als eifernden Verfechter der Wahrheit ausgibt, ist also nur ein gemeiner Aufschneider, der mit seiner Bosheit die Lüge verbindet, um die Herrscher zu beschimpfen!


1 Stanislaus Leszczynki.

2 Vgl. S. 14.

3 Vgl. Bd. II, S. 5.